Inhalt und Form summieren sich zu einer Anhäufung von Materialgut. Unterstand sieht aus wie ein Kartenhaus, ist aber ein architektonisches Objekt in zwischenmenschlicher Größe, das Roswitha Weingrill aus älteren gerahmten Arbeiten gebaut hat. Auch in Kontakt verwertet sie eine alte Zeichnung zu einer Pop-up Grußkarte. Kontakt persifliert die bekanntlich so wichtige Kontaktaufnahme und Vernetzung unter Kunstschaffenden unter Zuhilfenahme eines verkitschten Kommunikationsmittels wie der Pop-up Grußkarte. Andere Zeichnungen sinken, zu kleinen Objekten verarbeitet, im Dispersionssee dem Untergang entgegen, Archiv (geloopt). Es ist eine Abwärtsspirale, liest man diese Serie in chronologischer Reihung: Von der Neuordnung, zur Umgestaltung, zur Einzementierung in Grundierungsfarbe. Als neues Werk existiert nun die fotografische Dokumentation dieser Wiederverwertung bestehender Arbeiten weiter.
Mehr als nach der Verschiebung des einen Materiellen in die nächst gelegene Kategorie des anderen zu fragen, eröffnet diese aktuelle Serie die Frage, was man als Künstlerin mit der eigenen Arbeit eigentlich noch tun kann, wenn sie einem nach langem Denk- und Umsetzungsprozess zu einem tatsächlichen Gegenüber geworden ist.
Einst produzierte Arbeiten zu zerstören und in neue Entwürfe einzubauen ist die sichtbare Seite dieser kreisenden Bewegung, mit der Roswitha Weingrill ihren eigenen künstlerischen Output reflektiert. Die andere Seite zeigt sich im Nachdenken über die immaterielle, unverkäufliche Arbeit einer Künstlerin, die nicht unmittelbar zur Produktion von Kunstwerken führt, diese aber auch erst möglich macht.
RW: „Seit 2006/07 führe ich eine Liste mit Bewerbungen für Ausstellungsbeteiligungen und Dergleichen. In chronologischer Reihenfolge sammle ich zuerst alle Ausschreibungen, die interessant sein könnten. Dann markiere ich diejenigen gelb, an denen ich teilgenommen habe. Wird etwas aus meiner Bewerbung, ändere ich die Markierung in Grün, wenn nicht, in Rot. Das Verhältnis von Grün zu Rot liegt, grob geschätzt, bei 10% zu 90%. Das ist immer wieder frustrierend, aber irgendwie bilde ich mir ein, dass es für mich besser passt mich zu bewerben, weil mir das Netzwerken nicht so liegt. So bleibt mir eben nur die Option darauf zu spekulieren, irgendwann doch wieder mal bei den 10% dabei zu sein, auszustellen und präsent zu sein. Letztens habe ich gehört, dass eine Faustregel besagt, dass man jährlich zwölf Ausstellungen braucht, um überleben zu können. Davon bin ich weit entfernt und viele meiner Kolleg/innen auch, wobei einige es trotzdem schaffen. Und plötzlich ist man dann nicht mehr so frisch.“
Diese Publikation fragt nach dem Leben und Arbeiten junger Künstlerinnen und deren persönlichen Strategien, mit den „prekären Herausforderungen“ des Kunstkontextes umzugehen. Wir wollen davon ausgehen, dass die LeserInnen eine Vorstellung haben, was mit „prekären Herausforderungen“ gemeint ist. Wer fragt soll eine Antwort bekommen: Wir sind KünstlerInnen, LehrerInnen, HerausgeberInnen. Wir leben zwischen unserer Kunst, unserem Beruf, unserem Schreiben, unseren Partnern, KollegInnen, FreundInnen, Familien. Wir leben zwischen unseren Wohnungen, Arbeitsplätzen, Ateliers, zwischen Ausstellungen, Computer, Zeichentisch, Büchern, Zeitschriften. Wenn wir abends ausgehen, treffen wir FreundInnen, die auch KünstlerInnen, LehrerInnen, HerausgeberInnen und AutorInnen sind. Bei Eröffnungen und Performances sehen wir uns die Arbeiten uns bekannter und persönlich unbekannter KünstlerInnen an. Wir sehen uns auch die KünstlerInnen selbst an und die Strategien, die sie entwickelt haben, um innerhalb der „prekären Herausforderungen“ unseres Arbeitsfeldes leben und arbeiten zu können. Oft, immer häufiger als früher, diskutieren wir diese Bedingungen und die aus ihnen geborenen Strategien mit unseren Vertrauten.
Wir haben gelernt den Kontext unserer öffentlichen Äußerungen zu reflektieren und gegebenenfalls umzuschreiben: Diese Publikation fragt auch nach dem Werdegang junger KünstlerInnen. Wir aber fragen nach dem Werdegang der Arbeit junger KünstlerInnen. Über Geld spricht man nicht, besagt die bürgerliche Etikette und tatsächlich spricht eine Generation, die soviel über Arbeit spricht, artig wenig über deren Bezahlung. Hört man unseren Gesprächen über Arbeit zu, entsteht der Eindruck, wir hätten keinen Bedarf an Bezahlung. Aber natürlich brauchen wir das Geld. Was fürchten wir, würde passieren, würden wir über die faire Bezahlung unserer geleisteten Arbeit verhandeln?
Einen Text über die Arbeit einer Künstlerin zu schreiben bedeutet Inhalte festzulegen, sie zu formulieren, zu überarbeiten. Bedeutet Denk- und Schreibarbeit, Fragen stellen, Interview führen, Text transkribieren, Gedanken formulieren und so fort. 250 Euro sind als Honorar für Text- und KünstlerInnenbeitrag vorgesehen. Gerecht geteilt macht das 125,-. Euro pro Kopf. An diesem Text habe ich fünfzehn Stunden gearbeitet. Arbeitszeit ist unmessbar geworden, weil man die Arbeit überall hin mitnimmt. Gleichermaßen wird gar nicht versucht, das Unmessbare gerecht zu bezahlen. Stattdessen gibt es Pauschalangebote für die idealistischen ArbeiterInnen, weil sich irgendwann garantiert alle Arbeit bezahlt machen wird. Weil wir an diese Vertagung der Gerechtigkeit auf unseren Eintritt ins Arbeitsparadies glauben, hören wir auf an der gerechten Bezahlung unserer Arbeit im Kunst/Kulturbereich zu arbeiten und suchen uns stattdessen Arbeit in anderen Bereichen, die sich dank Gewerkschaft und Arbeitsrecht aus der Bezahlbarkeit nicht ausklammern können.
Wenn ich in der Arbeit von meiner Arbeit erzähle (übersetzt: Wenn ich als Lehrerin im Kunstunterricht in der Schule davon erzähle wie und was ich als Künstlerin arbeite) bekomme ich von den Jugendlichen die meiste Aufmerksamkeit. Ich erzähle ihnen über das Werk, den Auftrag, die Ausstellung, den Verkauf, die Förderungen, die Konkurrenz, die Solidarität, die Vernetzung, die Ausstellungshäuser, die Universitäten. Ich spreche darüber, wie ich meine Arbeit durch Arbeit finanziere. Irgendwann werde ich immer gefragt, ob ich unterrichte, weil ich Geld brauche.
Arbeit ist für uns, was sie für eine andere Generation in einer anderen Zeit, losgelöst von der eigenen Verwirklichung, noch nicht war. Arbeit heute durchdringt das Private, das Persönliche. Arbeit ist von einem Schatten zu einer intakten Bezugsperson geworden. Sie will behandelt, besprochen, sie will ernst genommen und gemocht werden.
Juli 2013
Erschienen in: THAT’S IT FOR NOW. 10 Jahre the smallest gallery. 10 Beiträge zu Leben und Arbeit als KünstlerIn.
Beteiligte KünstlerInnen: Elke Auer & Esther Straganz, Marlene Hausegger, Clemens Hollerer, Markus Jeschaunig, Ernst Koslitsch, Alfred Lenz, Valentin Ruhry, Lea Titz, Roswitha Weingrill, zweintopf.
Beteiligte AutorInnen: Nina Dick, Anne Faucheret, Veronika Hauer, Max Höfler / Nicole Lutnik, Wolfgang Oeggl, Melissa Lumbroso, Evelyn Schalk, Ulrich Tragatschnig, Andreas Unterweger, Ruth Weismann.