All the words float in sequence / on Hélène van Duijne (Veronika Hauer) 2011

Über die Arbeiten von Hélène van Duijne
Juni 2011

Nur ein Satz. I CAN HEAR MYSELF. Ein einzelner Satz, steht gleich zu Beginn dieses Tracks. Während ich den Rücken gegen das Sofa lehne, drückt die Lady auf der Tanzfläche die Handflächen gegen beide Ohrmuscheln. Dabei berühren sich ihre Ellbogen wiederholt in Form eines X vor dem Gesicht. Arme und Hände wiegen den Kopf auf diese Weise ganz langsam zur Musik. Ich weiß, dass später einmal, wenn wir beide, die Frau und ich, diesen Track wieder hören, sich jede an dieses Erlebnis erinnern wird. Laut einer Studie fungiert das so genannte „Soundtrack“ Areal im präfrontalen Cortex als Schnittstelle zwischen autobiografischem Gedächtnis, Musik und Emotion. Ob diese Schnittstelle durch das Hören eines Song(text)s aktiviert wird, oder das autobiografische Gedächtnis eine Erinnerung mit einem bestimmten Song verknüpft, ist dabei einerlei.

I CAN HEAR MYSELF. Der gleiche Satz steht auf dem Papier als Schriftzug aus Magnetbändern, die aussehen als wären sie gerade erst aus der Plastikhülle der Musikkassette gefingert, zerschnitten und mit Klebstoff aufs Papier ge­drückt worden. „I can hear myself“ gehört als einzelne Zeile zu einer Nummer von Future Sound of London, findet sich mit gleichem rückbezüglichem Twist aber auch bei Clock DVA, wie Hélène van Duijne im Titel der Arbeit cut up clock or fsol, 2009 festhält. Van Duijnes „Cut Ups“ setzen sich seit Jahren als visuelle Serie von Textzitaten fort, die je nach Herkunft einen wechselnden dutzenden Zusatz tragen: cut up brian, für ein Textzitat von Brian Eno, cut up Michael, cut up Whitney, oder eben cut up clock or fsol. Van Duijnes Arbeiten sprechen in Text oder Titel oft mit und über Musik, ohne diese selbst hörbar zu machen. Ihre Schriftzüge aus Magnetbändern und VHS Tape, arbeiten sich visuell über das Wort, zum Text, zur Erinnerung der Melodie und von dieser zum potentiellen Rückgriff auf ein autobiografisches Erlebnis in Verquickung mit der Musik hin. Dieser Weg zum Erlebnis, der seinen Einstieg über dessen Repräsentation nimmt, ist keiner eines langen Erinnerns, sondern der eines kurzweiligen Aufblitzens von Gestalt. Musik, die Hauptaktionärin in van Duijnes Produktionen, agiert dabei wie ein großer Schatten im Hintergrund der Bühne, der obschon stumm, doch unge­brochen gegenwärtig das jeweilige Stück im Vordergrund bestimmt. Kennt man die Tracks und Songs nicht, bleibt der Text als direkte Botschaft der Künstlerin an einem selbst hängen. Und ohne das Wissen um den ihn formenden Klang, liest sich dieser Text als Zeile mit kantiger Reimung, die seine Verwendung in anderem Kontext vermuten, aber nicht wei­ter verfolgen lässt. ALL THE WORDS FLOAT IN SEQUENCE; IT’S MORE FUN TO COMPUTE; LOOK INTO ABSOLUTE RESONANCE; WHO WANTS TO LIVE FOREVER. Was macht man also mit diesen Zeilen, die ohne Zugang bleiben, wenn man nicht da gewesen ist, sie nicht gehört hat oder mit keinem Erlebnis verknüpfen kann? Die zweite Referenz, die den verhaltenen Schatten der Musik in van Duijnes Arbeiten noch unterstreicht, ist das ehema­lige Speichermaterial mit dem sie seit vielen Jahren in ihren Installationen und Schriftzügen arbeitet. Anfang der 2000er Jahre, die MC hatte bereits an funktionellem Wert verloren und war als Speichermedium von CD und MP3 abgelöst worden, begann van Duijne ihre Sammlung von Magnetbändern zum Zeichenmittel, Schriftband und Installationsmate­rial umzuwidmen. Mit dieser Umwidmung betreibt van Duine eine Verwertung des Mediums als Material, dessen Patina ihre Arbeiten mit einer Menge an (selbstreferentieller) Information versorgt, die im Verborgenen, unsicht- und unhörbar, mitgetragen wird.

„I CAN HEAR MYSELF“ Auf dem Holzboden, befestigt auf einer Metallplatte, dreht sich eine kleine Elektrospule an der ein windschiefer Metall­stab einen Meter senkrecht in die Luft ragt. An der Spitze des Stabes befestigt, zieht ein ebenso langes Magnetband im kreisenden Rhythmus der Spule schwarze, weiche Schleifen durch die Luft. Grafisch definiert sich eine Schleife durch eine nach oben, unten, links oder rechts vom ursprünglichen Kurs abweichende Bewegung der Linie. Durch diese Abwei­chung kommt es zu einer Überschneidung der fortlaufenden Linie mit einem Teil ihrer selbst. Kennzeichen der Schleife ist ihre Definition eines erst durch die lineare Überschneidung markierten Innenraums. Eine Musikkassette, so Hélène van Duijne, speichere nicht nur Musik, sondern innerhalb der Musik auch einen Raum, der in der Erinnerung der Hörerin stets lebendig und bei erneutem Abspielen wiedererweckt würde. Diesen Raum nimmt van Duijne buchstäblich und gibt ihm Gestalt in anfangs kleinen hängenden Objekten aus Draht und Magnetband, die sich mit der Verwendung von VHS Tape zu Rauminstallationen und Bühnenräumen für Performances und Konzerte entwickelten. Ich denke, wenn ich van Duijnes etwa einen Quadratmeter großen Räume, die sich aus vier im Quadrat von der Decke hängenden Vorhängen aus schwarzen VHS Bändern definieren, sehe, an den eigenen Besitz der ersten VHS Kassette, der an die Möglichkeit des Wiederholens einer TV-Serie, eines Musikvideos und die plötzliche private Verfügbarkeit von Fernseh- und Filmbildern gekoppelt war. Abseits der Erinnerung, 20 Jahre später, glänzt und glittert jeder Streifen kaput­ter Information im Ausstellungsraum und wirft je nach Lichteinfall Reflexionen zurück in den Raum oder einen verzerrten Schatten an die Wand. Und wieder bleibt ohne Abspielgerät aller Inhalt geheim und das Material ein blanker Verweis auf die noch immer auf ihm gespeicherte Information. Beginnt man drüber nachzudenken, dass van Duijne hier eigentlich eine gespenstische Kulisse aufgebaut hat, bekommen Installationen wie Night At The Range und Originator, 2009, ohne die in ihnen stattfindende Performance gedacht, eine unheimliche Präsenz. In der Imagination geht das Musikvideo ab, sowie ich in der Vorstellung den Song dessen Refrain ich in Bruchstücken von der Wand ablese, hören kann. Doch es ist allein die Vorstellung, die, wenn man lange genug an ihr festhält, den Glauben an die Existenz des Immateriellen entfacht. In der Serie Levitation, 2010 malt van Duijne historische Fotografien von Medien bei Seancen im Kontakt mit der über­irdischen Welt trashig auf Mousepads in Teppichform und echte Teppiche. Sie zieht damit einen buchstäblichen und di­rekten Zusammenhang zwischen der übersinnlichen Kommunikation mit Verstorbenen unter Mithilfe eines menschlichen Mediums und der virtuellen Kommunikation im Jetzt durch das Internet. Der Teppich als Malgrund persifliert die Metapho­rik des fliegenden Teppichs, der im Märchen vom gewöhnlichen Gebrauchsgegenstand zu einem Vehikel der Fortbewe­gung umfunktioniert wird. Das Mousepad hingegen fungiert im Gebrauch als Untergrund, um haptische Anweisungen im virtuellen Raum noch schneller wirkungsvoll umzusetzen. In diesem Sinne ist es Zwischenstelle und Transportmittel zwischen Hier und Dort, Jetzt und Gleich. Als Motive für van Duijnes Malereien auf Mousepads und Teppichen finden sich nicht nur menschliche Medien wie Harry Kellar und Beuget, Zauberkünstler, wie Harry Houdini oder LSD-Papst  Timothy Leary. Neben diesen Einzelpersonen scheinen auch ganze anonyme Tischgesellschaften auf, die sich zu Seancezirkeln an Tischen gruppiert haben. Durch­mischt werden diese Bilder von scheinbar willkürlich gesetzten Buchstaben und Zahlen, wie sie gleichwohl zur Kommu­nikation mit Verstorbenen als auch zur textlichen Kommunikation in einer telekommunikativ gesteuerten Gesellschaft genutzt werden. Van Duijne übersetzt Interessensgebiete und Gedanken über Alltag und Kunst in direkte Sinnzusammenhänge, die sie mit den ihr unmittelbar vertrauten und zur Verfügung stehenden Mitteln und Materialien in ihre Kunst einbindet. Sie geht dabei buchstäblich und direkt vor, verwendet jedoch keine wieder erkennbare Handschrift oder Bildsprache. Jede von van Duijnes Arbeiten ist in diesem Sinne neu und unerwartet, sprunghaft, flexibel. Zusammen und dicht hält sie dabei vielleicht eine immer andere Affinität für das Material an sich.

Veronika Hauer